Protagonist:innen
Emilia Taran
Emilia (20) studiert Sozialwissenschaften in Mainz. Ein Junge im Freundeskreis, dieser eine, der immer für einen Lacher gut ist, hat nicht verstanden, wann es nicht mehr witzig ist. Ein Hitlerwitz hier, ein dummes Stereotyp dort. Keiner sagt was, manche lachen sogar mit. Heute würde sie sich das nicht mehr gefallen lassen. „Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass der Antisemitismus im Kleinen anfängt und im Großen aufhört“, sagt sie. „Judenhass spielt eine Rolle in meinem Alltag.“
Julia Kildeeva
Julia (21) ist Stipendiatin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES), einer Begabtenförderung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Im Alter von drei Jahren ist sie mit ihrer Familie aus ihrer Geburtsstadt Moskau nach Deutschland gezogen. Ihr Vater ist Muslim, ihre Mutter russische Jüdin. In Deutschland angekommen, baut Julia einen Freundeskreis auf. Mit ihrer Freundin versteht sie sich meistens gut, nur über ein Thema dürfen die beiden nicht mehr diskutieren – Israel. „Die nehmen doch allen Palästinensern die Heimat weg“, „Was die machen ist doch so schlimm wie die Nazis damals“… Immer wieder muss sich Julia für Israels Handlungen rechtfertigen, dabei ist sie doch einfach eine in Deutschland lebende Jüdin.
Philipp Peyman Engel
Philipp (37) ist Redakteur der Jüdischen Allgemeinen. In einer Berliner Badminton-Halle war er mit einem jüdischen Kollegen zum Sport verabredet. Aufgrund des Davidsterns auf seinem Shirt wurde er von anderen Spielern aggressiv angegangen. „Wenn man mit Kippa durch Dresden läuft, kann es passieren, dass man von einem Rechtsradikalen zusammenschlagen wird. In Berlin würde ich sagen, dass sich der Antisemitismus bei Migranten und muslimischen Deutschen in einer Art und Weise äußert, der sehr gewaltttätig werden kann“, sagt er.
Rebecca Seidler
Rebecca (40) ist Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover. Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung sollte sie eine Rede zum jüdischen Leben in Deutschland halten. Leider gab es vor der Rede nichts Koscheres zu essen, und nach der Rede antisemitische Kommentare und Ignoranz. „Ich war sehr frustiert über die schweigende Masse, die mir dort gegenüber saß“, sagt sie. „Ich habe meinen Mann angerufen und gesagt, du kannst schon mal gucken, wo die Koffer stehen.“
Salco Spanjaard
Salco (44), Kfz-Sachverständiger aus Bad Bentheim, kommt aus den Niederlanden, will den Heiligen Abend mit seinem Mann bei den Schwiegereltern verbringen. Als sie über seine Heimat Holland sprechen, kommt auch das Wirtschaftswachstum im 16. Jahrhundert zur Sprache, an dem auch viele jüdische Niederländer beteiligt waren. „Ja, ist klar, dass die Juden da mitgemacht haben, es ging ja auch ums Geld“, erklärt sich die Mutter von Salcos Schwägerin die Epoche. „Diese Vorurteile gibt es seit Jahrzehnten. Ich hätte gerne etwas dazu gesagt, aber es war ja Weihnachten. Leider erlebe ich solche Bemerkungen häufig, jeden Monat“, sagt Salco.
Sonja
Sonja (17, Name geändert) kommt aus Bonn, war Schülerin auf einem privaten, katholischen Gymnasium. Warum sie dort nicht mehr ist? Das müsste man ihre Geschichtslehrerin fragen, die ihre Klasse davon überzeugen wollte, dass es doch nichts mehr bringe, sich weiterhin mit dem Holocaust zu beschäftigen. Man wäre doch längst nicht mehr „schuld, schuld, schuld!“ Als Sonja diskutieren will, lässt die Lehrerin die Klasse Standpunkte gegen das Erinnern sammeln.
ExpertE
Samuel Salzborn
Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und ehemaliger Gastprofessor für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Im Jahr 2010 erschien seine Habilitation mit dem Titel „Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne“, 2020 erschien sein Buch „Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“.